Danke Mutters Schweinebraten

Es ist schon über 20 Jahre her, da besuchte ich in der Frankfurter Oper die Lesung von Armin Müller-Stahl „ROLLENSPIEL – Ein Tagebuch während der Dreharbeiten für den Film Die Manns”. Mein Kollege Günther Fischer spielte eigene Jazz-Songs und improvisierte zwischen den Erzählungen und Gedichten von Armin Müller-Stahl.

Danke Mutters Schweinebraten

Damals war ich auf irrationale Weise ergriffen von der Bühnenpräsenz von Armin Müller-Stahl, die übersinnlich und magisch wirkte, vor allem dann, wenn er reglos und wortlos nur auf der Bühne stand. Eines seiner Gedichte hatte mich emotional fast ausgehebelt. Ich hatte damals keine Ahnung warum. Ich wusste nur, dass Armin Müller-Stahl und Günther Fischer im Zuge der „Biermann-Affäre“ aus der DDR ausgewiesene Künstler waren.

Zur gleichen Zeit, um die Jahrtausendwende, studierte ich gerade Musiktherapie an der Fachhochschule Frankfurt a.M. In der Supervision und Eigentherapie tauchten immer wieder eigene Themen meiner Ausreisegeschichte als Musikerin in der DDR auf. Die 100-seitige Stasiakte für gerade mal 4 Jahre künstlerische Tätigkeit gab genug her.

Und heute, 2023, da „tingel“ ich, durch meine Musiktherapiearbeit angeregt, mit meinem Sohn mit Liedern, Gedichten und Geschichten unter anderem durch Altenheime. Mich drängte es immer mehr für unsere Auftritte DAS Gedicht von Armin Müller-Stahl zu finden, welches mich so sehr berührt und sich in mein Herz eingraviert hatte. Ich konnte die Essenz gut erinnern, auch nacherzählen, aber es nicht aufsagen.

Ich suchte Jahr um Jahr.

Im Internet deutete ein Artikel auf einen Auftritt vom 10.9.2013 in Weimar auf Schloss Ettersburg an, das er gemeinsam mit dem Kontrabassisten Thomas Götze gegeben hatte. Und auch da war das Gedicht besonders hervorgehoben. Es erzählt von Armins Klassenkameraden, die alle als 13-Jährige im Volkssturm gefallen waren. Er war der Einzige der ganzen Klasse, der am Leben blieb, Dank Mutters Schweinebraten.

Armin Müller-Stahl beschloss, so rezitierte er damals in der Alten Oper, dass er schon als junger Mann entschlossen war, als einzig Überlebender seiner Schulklasse die Kraft aller seiner Klassenkameraden einsetzen wollte, um etwas Großes für die Menschheit zu bewirken.

Als ich das las, war mir schlagartig klar, woher seine ungeheure Bühnenpräsenz kam. Er stand ja gar nicht alleine auf der Bühne. Er hatte die Selbstverpflichtung auf sich genommen, einer der großartigsten deutschen Charakterdarsteller der Welt zu werden und das auch in Hollywood zu beweisen.

Ich suchte weiter nach „Mutters Schweinebraten“.

Armin Müller-Stahl lebt noch, das wusste ich, darum schrieb ich ihm einen Brief und schüttete ihm mein Herz aus, über die „Gebrochenen Herzen“ meiner Klienten im Altenheim während der Coronazeit, über meine Künstlerallüren in Tagen der Verzweiflung an der Menschheit, über Sternenstunden im Rampenlicht bis hin zu Nächten voller Angst und Selbstzweifel.

Ich hoffte auf Resonanz und Mitgefühl, weil er, so wie ich, die DDR verließ und uns das gemeinsame Schicksal der Ausbürgerung aus der DDR verband.

Ich habe nie eine Antwort auf diesen Brief bekommen.

Heute, ausgerechnete am Geburtstag meiner Urgroßmutter geschah ein Wunder. Ich stocherte wieder mal suchend und fast schon resignierend auf meinem Handy im Internet herum. Da fand ich tatsächlich ein Buch von 2010: „Die Jahre werden schneller“ – Lieder und Gedichte von Armin-Müller Stahl.

Als das Buch ein paar Tage später bei mir angeliefert wurde, blätterte ich es hastig durch. Ich wusste ja nicht, ob es überhaupt darin abgedruckt war.

Ja! Ja! Ja!

Unter der Rubrik: „Die Plagen der Welt“ Seite 152 bis 155 fand ich eine im Jahr 2010 von ihm überarbeitete Fassung der Ursprünglichen von 1961, dem Jahr des Mauerbaus in Berlin.

Der Dank ging mittlerweile nicht mehr an den Schweinebraten, sondern an “Mutters Eingemachtes“.

Ich sinnierte über den doppeldeutigen Sinn von, „wenn es ans Eingemachte geht“ nach.

Für all die Menschen, denen es heute wieder ans Eingemachte geht, lernte ich noch in derselben Nacht das Gedicht „Danke Mutters eingemachten Schweinebraten“ auswendig und entwarf das komplette neue Programm für unsere nächste Konzertreihe:

„Jazz-Klassik-Prosa von Schweinebraten bis Rosenregen“.

Die Prämiere findet passend zum Thema am Muttertags-Sonntag, 14. Mai 2023 um 12 Uhr im Saal Mainzer Str. 5 in Staudernheim statt.

Der Eintritt ist frei. Über Spenden freuen wir Musiker uns.